Die Zeit der Geschenke

Es vergingen zwei Monate und irgendetwas fehlte bei der World Wrestling Federation. Zwar gab es große Stars en Masse, es gab bedeutsame Stables wie Sand am Meer und tolle Storylines wo man nur hinsah. Aber trotzdem fehlte irgendwas. Ja, es war der European Title. Zumindest sah das die Chefetage der WWF so und revidierte die erst kürzlich gefällte Entscheidung, den European Title zu begraben. Wir befanden uns immer noch in der Zeit, zu der sich mit der Corporation und der Ministry zwei der mächtigsten Gruppierungen zu einem Großen formten, mit all seinen „Higher Power“- und Bekehrungs-Angles. Es war schon eine verrückte Zeit. In diesen Bekehrungen wurde unter anderem der ehemalige King Mabel zu Viscera und auch ein anderer Mann bekam unter dem Banner der Ministry ein neues Ich. Dennis Knight war einst bekannt als Phineas I. Godwinn, hatte ein kurzes Gastspiel als Teil von Southern Justice gegeben und wurde nun durch einen Wurf in eine mysteriöse Pforte zu Mideon. Bedeutsam machte ihn  das nicht, aber zumindest wählte man ihn als denjenigen aus, der die Krone der Bedeutungslosen als erster wieder tragen durfte. Wie aus dem Nichts zauberte man den European Title wieder hervor und ernannte Mideon zu seinem Träger. Ohne Kampf, ohne Storyline. Eine einzige kleine Promo machte ihn zum Champion, in der er den Gürtel in Shane-o-Macs Tasche sah und ihn fragte, ob er ihn haben könne. Shane sagte, Mideon solle tun, was er nicht lassen könne und – boom – wir hatten einen neuen Champion. Auch hier schien man aus früheren Fehlern gelernt zu haben und stellte den Gürtel gleich nach seinem Comeback wieder um 100% glaubhafter dar.

Der Titel war zurück – für Mideon interessierte sich aber dummer Weise niemand, was einen baldigen Titelwechsel heraufbeschwor. D-Lo Brown sollte es sein, der in den Genuss von Titelregentschaft Nummer drei kommen durfte und damit Triple H und seinen ehemaligen Rivalen X-Pac an der Spitze der meisten Titelregentschaften ablöste. Zumindest bot man diesem Titelwechsel einen PPV als Austragungsort, was ihm zumindest für kurze Zeit so etwas wie Bedeutsamkeit zurückschenkte. Wie schon bei D-Lo’s erstem Titelgewinn erwähnt, war seine erste zweimonatige Regentschaft auch die längste seiner insgesamt vier – was soviel verrät wie: Der nächste Titelwechsel kam schon bald. Und bald bedeutet, ganze vier Wochen später. Es war 1999 im August und D-Lo Brown stand zweifelsohne auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Nicht nur, dass er als Face sehr over bei den Fans war und gerade seine rekordverdächtige dritte Titelregentschaft als European Champion antrat – er besaß zu diesem Zeitpunkt auch den Intercontinental Championship. Zwei Einzeltitel – ein Herausforderer, denn beim Summerslam musste Brown gleich beide Gürtel gegen Jeff Jarrett aufs Spiel setzen. Der Summerslam fand vier Wochen nach Fully Loaded statt, wer also ein bißchen rechnen kann kommt auf das Resultat und sieht Jeff Jarrett als neuen Intercontinental und European Champion vor sich. Clean siegte Jarrett allerdings nicht, denn niemand geringerer als der heutige „King of the Jungle“ Mark Henry, griff zu Ungunsten seines ehemaligen Nation-Buddys D-Lo Brown in den Titelkampf beim Summerslam ein. Sprich: Jeff Jarrett hatte den Gewinn der beiden Gürtel absolut Mark Henry zu verdanken. Was beim RAW am darauffolgenden Tag passierte war also eine absolut notwendige Geste. So wie man seinem Telefonjoker bei „Wer wird Millionär“ eine Kiste Pils ausgibt, wenn er einem beim Gewinn der Million geholfen hatte, tat es auch Jarrett und schenkte Mark Henry aus Dank für die Unterstützungen beim Summerslam den European Title. Und unterstrich den angestellten Wertvergleich von einer Million Euro zu einer Kiste Pils und dem Intercontinental Title zum European Title – und wer die Geschichte des Intercontinental Titles kennt, der weiß um dessen Wert um die Jahrtausendwende herum, was noch viel viel mehr über das Desaster um den Europagürtel aussagt.

Mark Henry hatte damit seinen ersten Einzeltitel „gewonnen“. Was heute niemanden verwundern dürfte, war damals schon eine kleine Sensation, denn Henry war damals weit davon entfernt so etwas wie einen ernst gemeinten Push zu erfahren. Den Titelgewinn kann man auch nicht wirklich als einen solchen Bezeichnen. Zumindest ein Herausforderer stand schon bereit, denn es lag ziemlich auf der Hand, dass D-Lo Brown wenig verzückt über Henry’s Eingriff beim Summerslam gewesen sein sollte. Beim nächsten Pay-Per-View bekam D-Lo schließlich seine Chance auf Rache und nutzte diese prompt. Henry schaffte es dadurch gemeinsam mit Mideon in die Geschichtsbücher einzugehen – denn beide gewannen nicht einen Titelkampf während ihrer Regentschaft. Nicht einmal bei ihrem Titelgewinn. Triple H war da im Vorjahr wesentlich abgebrühter – er siegte zwar im Titelkampf, verlor den Gürtel aber ohne selber zu verlieren. Na, wird langsam deutlich, warum ich diesen Titel so sehr liebte?


Das ist vielleicht Deine Meinung, Mann!